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Smart-Building-Ingenieure ausgezeichnet

Der Bachelor-Studiengang Smart Building Engineering an der FH Aachen bringt genau die Fachkräfte hervor, welche dringend zur Planung moderner und interdisziplinärer Gebäudetechnik benötigt werden. Ein Gewinn für Studierende, Bau- und Immobilienwirtschaft sowie für den Klimaschutz. Die Erfolgsgeschichten der Preisträger sind eng mit der erfolgreichen Kooperation von Wissenschaft und Wirtschaft verbunden.

In Deutschland verbrauchen Gebäude etwa 40 Prozent der Endenergie; einschließlich energieintensiv hergestellter Materialien wie Zement und Stahl geht sogar etwa die Hälfte auf ihr Konto. Der Smart Building Engineer hilft diese Bilanz zu verbessern, denn unter anderem verknüpft er oder sie technische Komponenten am Bau miteinander und optimiert sie mit modernen Methoden. Seine integrierten Lösungen steigern die Energieeffizienz. Geplant und realisiert werden zum Beispiel digitalisierte und automatisierte Energie-, Wasser- und Luftströme im Gebäudebetrieb, ausgerichtet an der tatsächlichen Gebäudenutzung. 2022 schlossen an der FH Aachen die ersten Studierenden den 7-semestrigen Studiengang Smart Building Engineering (SBE) ab, bis Ende November 2023 waren es 35. Ende 2023 wurden die drei besten Bachelorarbeiten 2023 mit dem SBE-Award ausgezeichnet.

Planung und Bau digitaler Bauwerke erfordern ein optimales Zusammenwirken von Bauwesen, Elektro- und Energietechnik, IT sowie klassischer Technischer Gebäudeausrüstung (TGA). Entsprechend wird der im Wintersemester 2018/19 gestartete Studiengang gemeinsam von den Fachbereichen Architektur, Bauingenieurwesen sowie Elektrotechnik und Informationstechnik angeboten. Er hat seine Wurzeln in der engen Zusammenarbeit von Bauwirtschaft und FH Aachen im überregionalen Innovationsnetzwerk der Bau- und Immobilienbranche ABE (Aachen Building Experts e. V.). Hier zusammengeschlossene Planungsbüros und Bauunternehmen brachten den konkreten Bedarf der Branche in den Lehrplan ein.

Aus dem schnell auf mehr als 150 Mitglieder angewachsenen ABE ging Anfang 2017 die Stiftung „Smart Building“ hervor. Acht Stifter unterstützen gemeinsam mit vielen weiteren Förderern aus der Branche den Studiengang finanziell. Immer wieder schließen sich weitere interessierte Unternehmen und Organisationen an, um Wirtschaft und Forschung in den Bereichen „Smart Building“ und „Engineering“ zu fördern und Wissenschaftseinrichtungen mit Unternehmen der Branche zu vernetzen. Auch das Preisgeld für die jährlich vorgesehenen SBE-Awards stellt die Stiftung.

Effizienzsteigerung und Kostenreduktion: Optimierung der Wärmerückgewinnung in RLT-Anlagen

Den ersten Preis erhielt Marcel Rögner für die „Automatisierte Analyse zur Sollwertbestimmung und Optimierung der Zulufttemperatur von raumlufttechnischen Anlagen in Nichtwohngebäuden“. Die Arbeit betreute Philip Grant, Projektingenieur bei ABE-Mitglied aedifion mit Sitz in Köln. Für sein Potenzial und die zukunftsweisende Technologie verlieh der ABE dem Spin-off der RWTH Aachen bereits 2017 den ersten ABE_Award. aedifion hat sich ganz der Nachhaltigkeit verschrieben. Rögner überzeugte ein Vortrag im Studienmodul „Smart Connect“ davon, seine berufliche Zukunft bei aedifion und damit bei innovativen Lösungen und Technologien in der Gebäudeautomatisierung und im Energiedaten-Management zu suchen. „Die Kunden sparen mehr Geld als wir sie kosten, es werden weniger Ressourcen verbraucht und wir treiben die Energieeffizienz voran. Das ist eine absolute Win-win-win-Situation“, so der gebürtige Westfale. Rögner untersuchte mit Hilfe modernster Techniken der Datenanalyse die Regelstrategien verschiedener Anlagen zur Wärmerückgewinnung, etwa konstante oder nutzungsbasierte Steuerungen. Als Ergebnis optimierte er entweder bestehende Regelungen oder ersetzte sie durch eine andere, um die Energieeffizienz der Anlagen zu erhöhen. Das Rüstzeug hierzu vermittelte ihm im SBE-Studiengang besonders der Fachbereich E-Technik. „In seiner Bachelorarbeit bewertete Herr Rögner, was unsere Energieeinsparmaßnahmen in einem Gebäude bringen würden. Das hilft uns dabei, unsere Kunden automatisiert und transparent zu informieren, welche Einsparungen bei bestimmten Maßnahmen erzielt werden können. Aufgrund seiner wissenschaftlichen, strukturierten Vorgehensweise konnten wir seine Analyse in unsere Plattform einbinden und sie als Blaupause für weitere Einsparungsberechnungen nutzen“, sagt Philip Grant.

Wertvolle Kontakte zu Unternehmen

Vor seiner Bachelorarbeit war Rögner bereits Werksstudent bei aedifion und absolvierte dort auch eines der zwei im SBE-Studium vorgesehenen integralen Projekte. Hierbei bearbeiten die Studierenden ein halbes Jahr lang einen Tag pro Woche eine Aufgabenstellung in einem Unternehmen. Aktuell machen dies zwei weitere SBE-Studierende bei aedifion.

Die Träger des SBE Awards 2023 mit ihren Professoren. Von li. nach re.: Prof. Bernd Döring, Charlotte Steinebach, Georg Spennes (Vorsitzender der Stiftung Smart Building), Marcel Rögner, Prof. Tobias Frauenrath, Daniel Kuck, Prof. Rolf Groß. Foto: Arnd Gottschalk, FH Aachen
Die Träger des SBE Awards 2023 mit ihren Professoren. Von li. nach re.: Prof. Bernd Döring, Charlotte Steinebach, Georg Spennes (Vorsitzender der Stiftung Smart Building), Marcel Rögner, Prof. Tobias Frauenrath, Daniel Kuck, Prof. Rolf Groß. Foto: Arnd Gottschalk, FH Aachen

Rögner stieß bei der Suche nach einer passenden Vertiefung seines Bauingenieur-Studiums in Braunschweig auf den Aachener Studiengang. „Ich war sofort begeistert: Da war alles drin, was mich anspricht: eine einzigartige Verbindung von Bauingenieurwesen, Elektro-, Informations- und Energietechnik sowie Technischer Gebäudeausrüstung. Diese Kombination qualifiziert umfassend für die aktuellen Anforderungen im Bauwesen. Und sie bietet die Chance, wertvolle Kontakte zu führenden Unternehmen der Branche aufzubauen.“ Dies schätzen auch Unternehmen sehr, wie Dr. Markus Ewert, Geschäftsfeldleiter TGA und Mitglied der Geschäftsleitung bei nesseler in Aachen, betont. Er entwickelte gemeinsam mit Daniel Kuck, ausgezeichnet mit Platz 2 des SBE-Awards, das Thema von dessen Bachelorarbeit. „Diese Zusammenarbeit ist für nesseler auch eine sehr schöne Bestätigung der finanziellen und inhaltlichen Unterstützung des Studiengangs SBE. Jetzt haben wir an der FH Aachen Studierende und Absolventen der TGA, wie es sie in der Vergangenheit nicht gab. Das hilft unserem Unternehmen sehr, seinen Bedarf an Fachkräften zu decken. Dass man die Möglichkeit hat, sich vor dem Einstieg in den Beruf schon kennenzulernen, ist für beide Seiten ein großer Vorteil.“

Entscheidungshilfe für die richtige Wärmepumpe

Auch Kuck kam bereits zu Beginn des Studiums mit nesseler in Kontakt: Ein erstes Gespräch fand auf dem Smart Building Abend statt, der regelmäßig für Erstsemester organisiert wird; später folgte die erfolgreiche Bewerbung als Werkstudent. Die nesseler Unternehmensgruppe entwickelt und vermarktet, plant, baut und betreibt seit mehr als 100 Jahren Immobilien. Das Unternehmen zählt zu den Gründungsmitgliedern des ABE und den Stiftern der Stiftung Smart Building. Kuck erarbeitete in seiner Bachelorarbeit „Entwicklung eines Tools als Entscheidungshilfe für die Auswahl eines Wärmepumpensystems in Mehrfamilienhäusern in frühen Planungsphasen“ ein elektronisches Werkzeug zum Vergleich verschiedener Wärmepumpensysteme. Hiermit können Bauherren effizient und nachvollziehbar dazu beraten werden, welches System sich für ihr Vorhaben am besten eignet. „Bereits in einer sehr frühen Planungsphase müssen wir über ein Heizsystem entscheiden. Da haben wir natürlich noch keine TGA-Planung, sondern lediglich erste grobe Daten zum Projekt. Dann schon eine Systemanalyse erstellen zu können, welche die Investitions- und Betriebskosten sowie die CO2-Emissionen und den Primärenergiebedarf möglich realistisch berechnet, hilft uns enorm bei unserer Arbeit. Wir nutzen das Tool regelmäßig und weil Daniel Kuck weiterhin Werkstudent bei uns ist, können wir es glücklicherweise mit ihm noch weiterentwickeln“, so Ewert. Parallel zu dieser Tätigkeit arbeitet Kuck derzeit an seinem Master „Energie-, Gebäude- und Umwelttechnik“.

Virtuelle Baustellenbegehung mit BIM und Virtual Reality (VR)

Charlotte Steinebach belegte mit ihrer Arbeit „Building Information Modeling und virtuelle Realität – die Erweiterung der Möglichkeiten im Bauwesen im Kontext der virtuellen Baustellenbegehung“ Platz 3. Am Studiengang gefällt ihr besonders die Kombination von Kreativität mit mathematischen und technischen Inhalten. Die 24-Jährige aus Montabaur interessierte sich von Beginn an vor allem für die Planungsmethode Building Information Modeling (BIM). „Ab dem ersten Semester bekommen wir Kenntnisse in Revit vermittelt, diese Software ist gut mit BIM kombinierbar und hat bereits während des Studiums bei Projektarbeiten geholfen“, hebt sie als weiteres Plus hervor. Ihre Arbeit entstand in Kooperation mit der ENGIE Deutschland GmbH in Köln, ebenfalls ABE-Mitglied. Das Unternehmen begleitet seine Kunden unter anderem bei der Optimierung des Verbrauchs sowie der Ausführung und dem Betrieb hocheffizienter gebäude- und energietechnischer Systeme. Benjamin Hering ist dort im BIM-Management tätig, wo Steinebach seit März 2022 als Werkstudentin arbeitete und auch zur Virtual Reality forschte. „Durch die Ergebnisse von Frau Steinebach können wir unsere VR-Station besser betreiben. Wir haben dadurch einen Überblick, welche Maßnahmen zu einem bestimmten VR-Präsentationszweck notwendig sind. Des Weiteren deckte sie Anwendungsfälle für VR auf, dies unterstützt die Modellprüfung“, beschreibt Hering den praktischen Nutzen der Bachelorarbeit. So wie die Virtual Reality ENGIE bei der Visualisierung von Projekten sowie dem Erkennen und Beheben möglicher Schwachstellen hilft, können sich auch die Kunden die Gebäude besser vorstellen. Steinebach knüpfte auf dem Smart Building Abend im November 2021 erste Kontakte zu dem Spezialisten für Gebäudetechnik und Energiemanagement. Nach Fertigstellung ihres Masters „Green Building Engineering“ wird sie Vollzeit bei ENGIE einsteigen. Benjamin Hering betont, dass SBE-Studierende „hervorragend bei Projekten unterstützen und eine Wissensquelle für bessere Prozesse“ sind. Durch das Engagement im Studiengang wirkt das Unternehmen an der Ausbildung seines zukünftigen Personals mit. Grundsätzlich sind alle Inhalte aus dem Bereich der TGA, der Gebäudedatenmodellierung und Programmierung interessant für ENGIE, „ganz besonders gilt dies aktuell für das Gewerk Elektro bzw. Mess-, Steuer- und Regelungstechnik (MSR) im Zusammenhang mit BIM. Diese Kombination von Fähigkeiten ist selten und wird auf dem Arbeitsmarkt dringend benötigt.“

Neues Institute of Smart Building Engineering (ISBE)

Eng mit der Stiftung Smart Building und ABE zusammen arbeitet das neue Institute of Smart Building Engineering (ISBE) an der FH Aachen unter Leitung von Prof. Dr.-Ing. Rolf Groß, Lehrgebiet Versorgungstechnischer Anlagenbau und TGA. Die Tätigkeit des ISBE ist sehr praxisorientiert, zusammen mit Unternehmen entwickelt es Projekte und Lösungen. Unter anderem beschäftigt sich das ISBE mit zukunftsweisenden Technologien und nachhaltigen Strategien für smarte Gebäude und Quartiere über den gesamten Lebenszyklus. Zudem bietet es eine Plattform für Lehre und Schulung, vor allem für BIM und TGA. Erste Projekte gibt es bereits: „Diggi Twin – Der Weg zum klimaneutralen Gebäudebestand durch die Nutzung digitaler Zwillinge“ startete Mitte Mai 2023. Es geht darum, wie sich mit Hilfe eines digitalen Zwillings Sanierungskonzepte im Sinne der Klimaziele erarbeiten lassen. Das Projekt „InnoFlaG“ erforscht auf dem Gebiet der Dekarbonisierung der Wärmeversorgung im Gebäudesektor speziell bodennahe Geothermie: Heizkonzepte, in denen Absorberplatten zum Entzug der geothermischen Wärme oberflächennah bis zu einer Tiefe von vier Meter eingebracht werden. Das DFG-Projekt „Längsbinderkirchen und versteckte Stahlkonstruktionen in Sakralbauten der Hochmoderne“ betreibt Grundlagenforschung zu denkmalpflegerischen Strategien. Prof. Groß und das ISBE bringen ihr praxisorientiertes Know-how als Treiber der Fachsession „Modulare TGA, digital, integriert und vorgefertigt“ beim Baukongress vom 12. bis zum 13. Juni 2024 in Aachen ein.


Autorin: Dr. Kerstin Burmeister